24.01.2020

Im Camper Zuhause – Ein gewöhnlicher Tag in Spanien

Tommy und Annika: „Der Sturm wird immer stärker.“
Pippi: „Das macht nichts. Ich auch.“

 

 

Ein gewöhnlicher Tag in Spanien beginnt für uns…

… wackelig. Sehr wackelig! Und viel zu früh. Aufgeregt schaukelt, zappelt und wackelt Bob hin und her. Wütend pfeift der Wind durch unsere unzähligen undichten Stellen in den Bus hinein, was das Jaulen zu einem schrillen Pfeifen verzerrt. Die losen Enden der Spanngurte des Dachgepäckträger peitschen zornig gegen die Seitenwände. Wallo und ich liegen derweil steif wie ein Brett  auf unserem 3,40m hohen Bett, die Augen weit aufgerissen und dennoch vor dem anderen schlafen tuend, denn keiner will es zugeben: Wir haben Schiss.

 

Fünf Tonnen schwere Wurzeln

Ich denke nach…  Können wir umkippen? Wie weit stehen wir von der Klippe entfernt? Wie tief würden wir fallen? Würden wir sterben, wenn wir „nur“ umkippen und nicht fallen? Aaach Quatsch. Ruhe jetzt, du blöder Verstand, das kann gar nicht passieren! Wir wiegen fünf Tonnen! FÜNF Tonnen! Uns fegt so ein Lüftchen doch nicht einfach von der Klippe. Aber herrje, wie das schaukelt… Warum schaukelt das so? Ist das normal bei 5 Tonnen?

Ich luge rüber zu Wallo. Er liegt neben mir, mir den Rücken zugewandt und scheint friedlich zu schlummern. Ach, na dann ist ja alles gut. Wallo würde schon etwas unternehmen, wenn wir in Gefahr wären…

Der Bus schaukelt weiter wild hin und her und ich versuche dabei einzuschlafen. Es fühlt sich an, als läge ich der Kajüte eines Bootes in Seenot. Es ist 4 Uhr. 3 Uhr war ich auch schon wach und 12 Uhr immenroch… Es bringt nichts. Das Peitschen der Spanngurte macht das Einschlafen unmöglich. Wie schafft es Wallo nur immer schlafen zu können?

Hat er gar nicht. Das erfahre ich 3 Stunden später beim Frühstück. Und sehen kann ich es auch. Da waren sie, die Augenringe.  Auch er lag die ganze Zeit wach. Ich komme mir wahnsinnig albern vor als ich meine Sorgen kaum hörbar in die Kaffeetasse murmel: „Mein Gott wie der Bus gewackelt hat. Aber wir stehen doch sicher, oder? Wir kippen doch nicht um, oder?“.  Jetzt schnell einen Schluck Kaffee nehmen, nicht hingucken, wie er dich entgeistert anstarrt. Aber das macht er gar nicht. Hätte er aber besser. Wäre mir viel lieber gewesen. Stattdessen weicht er meinem Blick aus und murmelt ebenso leise vor sich hin, dass das schon nicht passiere würde. Wir wiegen doch schließlich fünf Tonnen. Fünf Tonnen!

Täusche ich mich, oder ist er sich gar nicht so sicher? Nein, also so geht das nicht. Komm schon, denke ich, lache mich aus, zeige mir von mir aus einen Vogel, belehre mich, halte mir einen physikalischen Vortrag!

Ich hake weiter nach, formuliere meine Bedenken nun um, mache es ihm, wie ich finde, spielend leicht meine Einwände als albern abzutun, aber – verdammt noch mal – er tut sie nicht ab. Er ist sich einfach selbst nicht sicher.

Ich zücke mein Handy. Das werde ich googeln! Doch was soll ich da googeln? Ab wann kippt 5 Tonnen schwerer Transporter, mit 3,40m Höhe bei Seitenwind um? Wie stark ist der Wind überhaupt? Wir merken, googel ist doch nicht Gott und Gott schweigt.

 

Das einsame Paradies

Dunkle Wolken jagen über den Himmel. Wir frühstücken weiter und schauen raus. Es ist so wahnsinnig schön hier. Wir sind in irgendwo in der Nähe von Galiziano, Kantabrien, in Nordspanien.  Wellen brechen sich in der Bucht circa 50m unter uns. Es ist Ebbe und die Wasservögel und Möwen sammeln sich in dem leicht ausschleichenden Wasser der Brandung auf dem noch feuchten Sand, auf der Jagd nach Würmern und Muscheln. Kein Mensch ist zu sehen und kein Auto zu hören. Nun ja, zu hören gibt es eh nur das Gejaule und Getöse des Windes. Ich folge mit meinem Blick der begrünten, steilen Felsküste, bis ich in der Ferne, auf der anderen Seite der Bucht, ein paar einsame Häuschen entdecke und einen Leuchtturm. Ja der ist hier bitter nötig, denke ich.

Wir möchten diesen großartigen Stellplatz einfach nicht verlassen. Vor zwei Tagen kamen wir hier an. Wir fuhren durch dichte Eukalyptuswälder eine sich schlängelnde Sandstraße entlang, auf der Suche einem einsamen, naturnahen Stellplatz. Und mein Gott, was wurden wir fündig! Eindrucksvoller hätte sich dieser Fleck Erde uns nicht präsentieren können. Die Sonne versinkt bei unserer Ankunft gerade spektakulär dramatisch  hinter dem Meer, die Wellen brechen sich geräuschvoll unter uns an den Klippen. Was für ein Schauspiel! Was für eine Natur! Ich jage zurück in den Bus und grabbel eilig die Kamera aus dem überfüllten Technikfach. Vorsichtig, dass mir nicht gleich der gesamte, hinein gestopfte Inhalt entgegen fliegt.  Anschließend sprinte ich eine Anhöhe hinauf zu den Eukalyptuswäldern. Schnell noch ein, zwei Fotos schießen. Wer weiß, wie morgen das Wetter wird (Wie Recht ich haben sollte…).

 

Von Hexen und Prinzessinnen

Die Luft ist kühl und riecht sagenhaft frisch. Wie ein Thermalbad. Der Duft des Eukalyptus liegt schwer in der Luft. Ich erinnere mich an unsere Badewanne zu Hause komme kurzzeitig ins Schwelgen … Jetzt ein Entspannungsbad nehmen… Aber Alva weckt mich aus meinen Gedanken. Sie jagd aufgeregt neben mir hin und her und schwingt einen Ast, den sie gerade gefunden hat wild durch die Luft und ruft herrisch „Hex hex!“. Dann drappiert sie den Ast überraschend behutsam zwischen ihre Beine und fliegt davon. Seid wir unterwegs sind, schäumt ihre Fantasie über. Es ist wunderbar und beinahe erschreckend zugleich, in welchen Welten sich unsere dreieinhalbjährige Tochter so tummelt.

Dieser Standort bietet ihr die perfekte Kulisse. Plötzlich ist sie nicht mehr Bibbi Blocksberg, der Stock kein „Kartoffelbrei“ mehr, sondern ein Zauberstab. Sie ist nun Elsa, die Eisprinzessin. Aufgeregt kommt Elsa zu mir gerannt. Sie braucht dringend ein Elsakleid, erklärt sie mir. Was tun? Ich möchte ihr helfen und gemeinsam suchen wir aus meinem Schrank den eisblauen Sarong heraus, der nun statt bei Hitze, bei Kälte zum Einsatz kommt: Als Umhang der Eisprinzessin. Es ist bereits sehr windig und Alva schreit wilde Sprüche und Verwünschungen in den Wind. Sie würft ihre Ärmchen beschwörend dem Himmel entgegen, wirbelt sie durch die Luft und ruft ihre Freunde zusammen. Sie hüpft über alte Pfützen, jagd dem Wind entgegen, reitet auf seinen Böen, hebt kurz ab und landet dann wieder zu meinen Füßen.

„Mami, Hand!“ sagt sie, plötzlich wieder meine kleine, etwas erschöpfte Alva und ich nehme ihr kleines Händchen in die meinen. Wir spazieren alle Drei, Hand in Hand, die Klippen entlang. Die Felsen fallen neben uns steil ab ins Meer. Die Wellen krachen und der Wind nimmt zu. Es ist unbeschreiblich schön hier! Unsere Herzen jubeln, denn so schön es in Frankreich auch war, DAS ist genau das, was wir suchten und in genau diesem Augenblick brauchten: Natur. Wild, rau und ungezähmt.

Nach ein paar Metern drehen wir um. Es dämmert schnell in Spanien und wir sehen kaum noch den Weg. Wir gehen zum Bus zurück und machen es uns drinnen am Kamin bequem.

Es folgt die erwähnte stürmische Nacht, ohne Schlaf, mit vielen Sorgen und verrückten Ängsten. Zurück am Frühstückstisch beschließen Wallo und ich die Sorgen ruhen zu lassen. So langsam schiebt sich die Sonne zwischen die Wolken. Mit Sonne im Gesicht, ist auch der stärkste Sturm nur noch ein aufgeplustertes Windchen. Wir gehen raus und erkunden erneut unsere Umgebung.

 

Die Märchenwelt im Felsen

Dieser besondere, fast schon magische Ort, entpuppt sich nun als genau die Märchenwelt, die er zu sein scheint. Fern des Sandweges führt ein schmaler Pfad die Klippe hinunter. Er lässt sich schwer einsehen und wir schieben uns Hand in Hand hintereinander die begrünten Felsen hinunter und stehen plötzlich vor einer großen, in den Fels gehauenen Höhle. Sie ist riesig! Aus den Steinen wurden Tische und Bänke gehauen, in der hintersten Ecke hängt das Bild einer Heiligen. Nicht nur Alva ist fasziniert. Auch wir sind es und versuchen die von Wind und Wetter gegerbten Innenschriften zu entziffern. Wir lesen das Jahr 1662 … ganz schön alt. Sonst verstehen nichts. Aber das reicht aus, um unser aller Fantasie anzuregen. Wir bleiben eine ganze Weile in der Gegend um die Höhle herum. Wir entdecken weitere Höhlen, kleine und große, Kaninchenlöcher in den grünen Hügeln oberhalb der Klippe und bleiben immer wieder fasziniert am Rand er Klippe stehen, um nach unten zu sehen.

Das Wasser hat hier ganze Arbeit geleistet und bizarre Felsformationen erschaffen. Sie bilden Tore und Zacken, Pilze und Türme im Meer, an denen das Wasser zerschellt.

Wir hätten noch lange bleiben können, doch hat uns die letzte Nacht wahnsinnig erschöpft. Der immer noch stark jagende Wind trägt seinen Teil bei und wir gehen ermüdet zurück zu Bob. Dort angekommen machen wir uns ein leckeres Mittag, bestehend aus einer Kartoffel-Gemüse-Pfanne und anschließend machen wir das Unglaubliche: Wir legen uns alle Drei schlafen. Wir machen es viel zu selten, denn ein gemeinsamer Mittagsschlaf ist herrlich entspannend.

Nachdem Wallo und ich uns eine gute Stunde ausgeruht haben und Alva ganze 2 Stunden geschlummert hat, überlegen wir was wir machen. Der Wind wird immer stärker, stärker gar als gestern um diese Zeit. Werden wir eine zweite Nacht hier oben überstehen? Ich schaue rechts aus dem Wohnzimmerfenster. Zwei Meter von uns entfernt geht es steil bergab.

Ich schaue Wallo fragend an. Werden wir WIRKLICH nicht umkippen? Ach und nun sind wir wieder am Anfang angelangt. Was soll der arme Wallo schon sagen. Wir glauben nicht, dass wir wirklich umkippen könnten, aber wer soll das in der heutigen Zeit schon mit Gewissheit sagen können? Das Wetter spielt verrückt. Wer weiß schon noch, was normal ist? So oder so, es würde es auf eine angespannte Nacht hinauslaufen. Wir beschließen daher uns von diesem Sehnsuchtsort  zu verabschieden und fahren am späten Nachmittag von dem Felsen runter in die Ebene.

Wir parken auf einem einsamen, begrünten Parkplatz. Für einen Parkplatz ist er ganz schön, aber es ist dennoch ein Parkplatz. Alva stört es wenig. Sie ist derzeit ein Pferd, auf der Suche nach ihrem Stall und hüpft wiehernd auf dem Gelände herum.

Ich hole unser Pferdchen draußen ab und bringe es ins warme Innere, um ihm sein Futter zu geben. Selbst hier unten stürmt es wild, aber wir verleben eine entspannte Nacht.

Am nächsten Tagen gießt es wie aus Eimern. Unser ursprünglicher Plan einige Tage zu bleiben, wird hingeworfen. Wenn es regnet wird geschlafen oder gefahren. Geschlafen wurde gestern, heute wird gefahren. Noch wissen wir es nicht, aber wir werden die nächsten 3 Tage Spaniens Küste entlang fliehen, von wilden Winden und hartnäckigem Regen gejagt. Als wir das herrliche Gallizien erreichen, wird das Wetter endlich besser, jedoch geht uns jetzt das Gas aus.

Aber das ist eine andere Geschichte….

Lasst euch nicht wegpusten!

Eure Melli