„Melli, in welchem Tempo lebt ihr eigentlich??“
Ja, das frage ich mich auch manchmal.
Ich sitze in einem kleinen, kuscheligen Dachbodenzimmer, in unserem vorübergehenden Zuhause auf Zeit, und versuche, mir die letzten Monate ins Gedächtnis zurückzurufen. Es fällt mir schwer, die Abläufe, Vorgänge, Gedanken, Pläne, Fortschritte und Pannen der letzten Wochen in Worte zu fassen und zu ordnen. Mir ist selbst nicht bewusst, wo wir eigentlich stehen. Alles ging so schnell.
Nur so viel ist klar: Wir möchten in 3 Wochen zu unserer großen Reise aufbrechen. Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass die finalen Vorbereitungen auf Hochtouren laufen, stattdessen konnten wir gestern erst unseren Mercedes aus der Werkstatt holen, um jetzt(!) mit dem Ausbau zu beginnen. Wallo ist weiter optimistisch, meint, wir schaffen es schon am 30.11.2019 von der ruhigen Berliner Seitenstraße aus in die Ferne zu rollen. Ich sehe es skeptisch und mag mich nicht dafür.
Seit wir die Entscheidung zu Reisen getroffen hatten, beschäftigte uns über Wochen die Frage des richtigen Reisefahrzeuges. Es raubte endlos Zeit und Kraft, zermürbte uns und lies uns immer wieder bei Null anfangen. Gerade hatten wir den Ausbau an unserem Merlin, einem VW T4, abgeschlossen und mehr als eine längere Urlaubsreise nach Slowenien sind wir mit ihm noch nicht gefahren, als wir uns die Frage stellen mussten, ihn zu verkaufen, um auf etwas Größeres umzusatteln. Tage und Nächte verbrachten wir mit Recherche. Waren mal dafür, dann dagegen. Wir liebten unseren VW! Er war ein wunderbares Auto, 2001er Baujahr und wahnsinnig gut in Schuss. Gerade mal 90 000 Km hatte er runter, was eine Seltenheit ist. Wallo hatte bereits Unmengen an Zeit und Geld in den Ausbau gesteckt und die Vorstellung, diesen perfekten Wagen- sein absolutes Traumauto – beinahe ungenutzt abzugeben, zerriss ihm das Herz.
Schlussendlich entschieden wir uns dafür, die Reise mit dem VW T4 anzutreten. Zu viert im VW, das schaffen wir schon! Herausforderungen willkommen! Wir haben ja schließlich ein Vorzelt.
Die Stimme des Zweifels wollte sich bei nur leider nicht ganz abstellen lassen. Dumpf flüsterte sie mir in ruhigen Momenten ihre Bedenken zu.
Wo werden wir uns bei schlechtem Wetter aufhalten? Ist es nicht zu gefährlich überall das Vorzelt aufzubauen? Wir wollen doch schließlich wild stehen, so selten wie möglich Campingplätze anfahren. Wo soll das Baby krabbeln? Wo Alva spielen? Wo soll das Baby überhaupt schlafen? Das Bett ist doch nur 120cm breit. Und überhaupt, wo sollen wir unser Hab und Gut verstauen? Und was – verdammt nochmal – mache ich ohne Toilette?? Ab einem gewissen Schwangerschaftsmonat könnte das ein ernsthaftes Problem werden, wenn sich nicht sofort ein geeignetes Buschwerk finden lässt. Der Glaube versetzt Berge und lässt die Zweifel verstummen… bei mir nur leider nicht. Es nützte alles nichts, und so fing ich heimlich des Nachts an, weiter nach geeigneten, größeren Fahrzeugen zu schauen.
Für mich stand fest, ein DüDo müsse es sein. Unser Traum von einem Expeditionsfahrzeug, ein ausgebauter alter Rundhauber, bevorzugt eine alte Feuerwehr, platzte aufgrund unserer beschränkten finanziellen Mittel und der fehlender Zeit für den Ausbau. Wir wollten schnellstmöglich los, die Zeit maximal nutzen.
Ein Mercedes 508d schien mir die geeignete Alternative zu sein. Groß, geräumig, verlässliche, einfache Mechanik. Danach suchte ich des Nachts, bis ich im August auf Bob stieß.
Er schien nahezu perfekt. Ein Mercedes 508d , 81er Baujahr, knapp 270000Km runter, 7m Länge. Von den Vorbesitzern wurde er in den 80ern bereits zum Wohnmobil ausgebaut und auch wenn wir so gut wie alles zurück- und umbauen würden, so wurde er in der Vergangenheit gehätschelt und gepflegt. Ich weckte kurzerhand Wallo aus dem Schlaf und zeigte ihm meinen Fund.
Von meinem -für ihn sehr überraschenden- Geisteswandel musste er sich erst einmal erholen und meine erneut in den Raum gestreuten Argumente auf sich wirken lassen. Auch wenn es ihm sehr schwer fiel, so stimmte er meinen Bedenken zu und wir entschlossen uns am Folgetag die Hochzeit, zu der wir geladen waren, in einer Nacht und Nebelaktion zu verlassen um nach Westen, nach Melle zu fahren. Tja was soll ich sagen, wir sahen ihn und kauften ihn.
Genau genommen kauften wir ihn nur zu einem Drittel, denn mehr Geld konnten wir nicht vorschießen. Zuerst mussten wir unseren Merlin, den VWT4 verkaufen. Kein perfekter Zeitpunkt, im Spätsommer einen Camper zu verkaufen, doch wir hatten Glück. Wir durften ihn in die liebevollen Hände guter Freunde übergeben, was das Gefühl des Verkaufs für uns nicht mehr unerträglich, sonder geradezu erfreulich machte, denn – irgendwie- war er ja noch da.
Der Herbst stand vor der Tür und nun ging es ans Eingemachte. Seitdem sind die Handys und Computer im Dauereinsatz, Material musste gekauft, Pläne mussten geschmiedet werden. Wallo musste nun komplett umdenken, sich rund um die Uhr mit dem Ausbau eines Mercedes Oldtimer beschäftigen. Jede freie Minute verbringen wir seit dem Kauf von „Bob“ mit Recherchearbeiten, die Abende vergehen zu 90% im Gesprächs-, und Meinungsaustausch, die letzten Minuten vorm Schlafen versuchen wir wieder „runter zu kommen“, indem wir einen James Bond aus den 80ern einlegen, um uns so in den Schlaf lullen zu lassen. Meist gelingt uns das immerhin schon beim Vorspann.
Im Oktober fuhren wir Bob zur Kontrolle in die Werkstatt. Er verlor etwas Bremsflüssigkeit und wir wollten das gerne abklären. Von unserem sehr vertrauenswürdigen Vorbesitzern wussten wir, dass das zögerliche Bremsverhalten des großen Mercedes normal sei und nicht zu ändern. Bei so viel Gewicht und einfachen Trommelbremsen sei das so, wir sollten also stets vorausschauend fahren. Nun gut, denken wir. Nicht schön, aber es erscheint uns bei beinah 4Tonnen Gewicht irgendwie eine logische Erklärung. Da die Bremsschläuche und Bowdenzüge von den Vorbesitzern erst im Juli erneuert wurden, machten wir uns keine großen Sorgen. Denkste! Die Diagnose der Werkstatt war niederschmetternd. Leider bremste er nicht nur schlecht, sondern die Hinterbremsen waren absolut hinüber. Die Bremstrommel musste ausgedreht werden, und der gesamte Rest musste komplett erneuert werden. Radbremszylinder, Bremsbacken , Mechanik.. einfach alles. Uns wurde dringendst angeraten, keinen Meter mehr mit dem Bus zu fahren, bis der Schaden behoben wurde. Wir sind schockiert, in welchem Zustand wir von Melle nach Berlin gefahren sind, und in welche Gefahr wir uns und andere Verkehrsteilnehmer unwissentlich gebracht haben. Da es sich laut Aussage der Mechaniker definitiv um einen alten Schaden handelt, fühlen wir uns von den Vorbesitzern betrogen. Wir waren zu leichtgläubig, das wissen wir jetzt. Doch nahmen wir an, dass gerade bei den Bremsen so ein Schaden nicht verheimlicht werden würde. Die Sorge, ein anderer Käufer könnte uns zuvor kommen und uns den Bus wegschnappen, hat uns das Gesagte glauben lassen wollen und uns zum schnellen Kauf bewogen. Wir waren froh, dass der Schaden behoben werden konnte und ließen den DüDo in Birkenwerder im BasisCampBerlin zur Reparatur zurück. Mit einem Kloß im Magen fuhren wir mit dem Zug zurück nach Hause und rechneten beklommen unsere Finanzen nach. Diese Panne verursachte ein Loch in unserer Budgetierung, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Zudem zerrann uns das Geld zwischen den Fingern. Bei all den Bestellungen, die wir in den letzten Tagen und Wochen getätigt hatten, kein Wunder.
Zuweilen erschien mir unser Zuhause wie ein kleines Logistikzentrum. Mehrmals täglich kamen Lieferungen bei uns an, die wir für unseren DüDo online einkauften. Wir bestellten Dieseltanks, Kaminrohre und Wasserfilteranlagen ebenso wie Handbücher und kleinste Schrauben. Kleine Pakete, große Pakete alles war dabei. Bis zu 20 Pakete täglich kamen an, bis Amazon uns das Konto vorübergehen sperrte. Unsere Großbestellungen quer Beet fielen einfach aus der normalen Verhaltenskurve raus und ließen uns verdächtig erscheinen. Die dadurch verspäteten Lieferungen sorgten für weitere Probleme, schließlich war unser Zeitfenster mehr als knapp berechnet.
Was mich gleich zum nächsten Punkt kommen lässt:
Eine Weltreise bringt einen Rattenschwanz bürokratischer Erledigungen mit sich, die wiederum besonders in Berlin, wo die Ämter heillos überfordert sind, enorm viel Zeit für sich beanspruchen. Ausweise, Führerscheine und Reisepässe mussten aktualisiert und erneuert werden. Teilweise betrugen die Bearbeitungszeiten bis zu 3 Monate, was uns zwang, die meisten Dokumente als Expressversionen in Auftrag zu geben. Dafür mussten wir nicht nur zusätzlich in extra Ämter spazieren, sondern auch die doppelte Bearbeitungsgebühr abdrücken. Unsere deutschen Dokumente kosteten uns, nur um es zu erwähnen, über 450Euro.
Damit natürlich nicht genug. Es bedarf vieler weiterer Überlegungen bei einer geplanten Langzeitreise, besonders mit Kindern.
Die Frage der medizinischen Absicherung beschäftigte uns lange. Welche Auslandskrankenversicherung ist für uns die beste? Welche zudem auch günstig? Wie bin ich als Schwangere abgesichert? Wie verhält es sich mit der geplanten Geburt im Ausland?
Und welche weiteren Versicherungen sind nötig bzw. sinnvoll?
Ihr seht, wir kommen vom Hundertsten ins Tausendste. Viel Zeit für eine intensive Auseinandersetzung mit all diesen Fragen hatten wir nicht, da die Entscheidung zu dieser Reise kurzfristig getroffen wurde. Einiges werden wir rückblickend sicher anders machen, einiges war vielleicht genauso gut, wie es war.
Im November warfen wir weiteren „Ballast“ von uns. Wallo kündigte seinen Job und konnte sich nun jede freie Minute unserem Reiseprojekt widmen. Außerdem trennten wir uns von unserer schönen Altbauwohnung, die die letzten 8 Jahre mein Zuhause war. Die charmante 2,5 Zimmer Wohnung wäre uns zu Viert sowieso zu eng geworden. Das Loslösen vom Hausstand verlief zäh. Zu lange überlegte ich, was wir wohl noch gebrauchen könnten. Die nicht immer rosig verlaufende Schwangerschaft zwang mich zuweilen tagelang in die Waagerechte. Am Ende übergaben wir die Hausschlüssel unserem – bis über beide Ohren strahlenden – Nachfolger. Er bekam nicht nur die Wohnung, sondern alle Möbel und nicht gebrauchten Utensilien gleich dazu. Wir waren erleichtert und er überglücklich! Mit immer noch viel zu viel Zeug im Gepäck fuhren wir vor ein paar Tagen zu unseren Freunden, um es uns für den Monat des Ausbaus auf ihrem Dachboden gemütlich zu machen.
Meine Bedenken, Alva würde es nicht verstehen und „nach Hause“ wollen, lösen sich jetzt Gott sei Dank in Rauch auf. Sie genießt es mit uns in einem Raum zu leben und zu schlafen und fragt stattdessen täglich, wann wir denn endlich in den Bob-Bus ziehen würden. Ja, das frage ich mich auch gerade.
Ich sitze hier im Dachbodenzimmer meiner Freundin und lasse den Blick über die Kisten und Taschen schweifen, die ab nun unser reduziertes Leben sein werden. Es fühlt sich gut an, sich von Dingen zu trennen. Erleichterung macht sich breit. Ich spüre, wie meine Atmung sich vertieft und sich ein Lächeln auf meine Lippen legt. Trotz all der Strapazen , Anstrengungen und Pannen sind wir bereit aufzubrechen, mehr denn je!